TRANSFERT Kunst im urbanen Raum

Kommunikationstadt

Joshua Decter

Auf der Ebene der Metapher ist jede Person eine Stadt, genauso wie jede Stadt grundsätzlich ein Kompositum, eine abstrakte und materielle Verkörperung ihrer Bevölkerung ist, das wiederum in einem Verhältnis zu spezifischen Codes und Systemen der Bewohnung steht. Es gibt signifikante Unterschiede zwischen verschiedenen urbanen Territorien überall auf der Welt (davon kann jeder Tourist erzählen), und dies gilt besonders für den Vergleich zwischen Entwicklungsländern und spätkapitalistischen Nationen. Es ist also unmöglich, eine singuläre und universelle Definition der Stadt zu erstellen. Jede Stadt ist, unabhängig von ihrem geographischen Ort und/oder ihrer soziopolitischen Situation, ein multidimensionaler Komplex unvermeidbar paradoxer Elemente, in welchem Heterogenität und Homogenität in einem ständigen Spannungsverhältnis koexistieren. Städte besitzen die Kapazität, alles in ihr dichtes Gewebe inkorporieren zu können; Städte fördern den sozialen Austausch und können gleichzeitig alle denkbaren Formen der Transformation verursachen. Die Überlagerung der Rhythmen von Statik und Bewegung ist charakteristisch für jeden urbanen Kontext. Die Stadt ist ein Amalgam des öffentlichen und privaten Raums, des Sozialen, des Anti-Sozialen ; eine Verschmelzung von Politik, Religion, Kultur, Gesundheit, Krankheit, Reichtum, Armut, Gesetz, Kriminalität, Sex, Abstinenz, Geburt, Tod, Schmutz, Elektrizität, Kommunikationssystemen, Fauna, Flora, Transportsystemen (in öffentlicher und privater Form), verschiedenen Architekturen und noch vielem mehr.

Der Philosoph Henri Lefebvre versteht die Stadt als Arena für “das Aufeinandertreffen von Unterschieden”, als einen Raum, der sowohl gesellschaftliche Beziehungen herstellt, als auch von gesellschaftlichen Beziehungen hergestellt wird. Lefebvre verweist auf den Umstand, dass wir dazu neigen, die moderne urbane Umwelt unter widersprüchliche Begriffe zu fassen: Wir verstehen die Stadt als abstrakten Raum, der auf hierarchischen Modellen (z.B. Zentrum und Peripherie) fußt, die die herrschenden ökonomischen Verhältnisse stärken, aber auch als einen Raum der Brüche, der Entkoppelungen, des Flusses und der “Pulverisierung” (Lefebvre). Gegen die Absicht der Homogenisierung des urbanen Raums gemäß der Logik eines fortgeschrittenen Kapitalismus versuchen soziale Subjekte, bzw. Individuen, andere Nutzungsformen dieses Raumes zu artikulieren, indem sie ihre Vorstellungskraft als Werkzeug einsetzen, um die urbane Ordnung immer wieder neu zu verhandeln.

“In einer Stadt sind bewegliche Elemente, darunter vor allem die Menschen und ihre Aktivitäten, genauso wichtig wie ihre stationären, physikalischen Bestandteile. Wir sind nicht nur bloße Beobachter dieses Spektakels, sondern Teil davon. Mit anderen Beteiligten teilen wir uns diese Bühne. Meistens ist unsere Wahrnehmung von Stadt keine dauernde, sondern eine eher partielle, fragmentierte, die von anderen Anliegen durchsetzt ist. Nahezu alle Sinne sind an dieser Wahrnehmungsoperation beteiligt, und das daraus resultierende Bild setzt sich aus all diesen Sinneseindrücken zusammen.” 1

Bis zu einem gewissen Grad ist die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu beobachtende Entwicklung von Kunstausstellungen, die sich mit dem urbanen Raum /der Stadt beschäftigen, mit einer umfassenderen Frage verknüpft. Es geht hierbei um den Versuch, die relative Autonomie der Kunst in der Moderne aufzubrechen, und die Praxis, Sprache und Ideologie der Kunstproduktion in den Rahmen des sogenannten “Alltagslebens” zurückzuholen. Die Kunst soll ihre spezialisierten Kunsträume – Atelier, Galerie, Museum und private Sammlung – verlassen und in die sogenannten gewöhnlichen Areale des Lebens zurückkehren: Dies sind die Straße, das Zuhause und so weiter. Die Kunst soll also in die Domäne des Nicht-Spezialisierten zurückgeführt werden, wodurch sich ihr gleichzeitig die Möglichkeit eröffnet, die Beziehung zwischen Kultur und Öffentlich neu zu erfinden. In gewisser Weise reflektiert diese Herangehensweise ein jüngeres, nämlich im späten 20. Jahrhundert anzutreffendes Vorhaben, das die isolierte Aktivität modernistischer Kunst wieder in den “Mainstream” kultureller Aktivitäten einspeisen wollte.

Mit der Entstehung industrialisierter urbaner Zentren im Europa des mittleren und späten 19. Jahrhunderts und des mit ihr einhergehenden bourgeoisen Selbstbewusstseins, einem neuen Modell sozialer Organisation anzugehören (das auf lebendige und poetische Art in den Schriften von Baudelaire widerhallt, später mit Breton metaphorisch durch Paris mäandert und noch später in den situationistischen Werken Debords artikuliert wird), ist die Bühne frei für einen Stadtbegriff, der das Urbane als Kontext für die Entfaltung ästhetischer Erfahrung versteht. Dies wird schliesslich zu einer maßgeblichen, wenn nicht gar paradigmatischen Vorstellung des 20. Jahrhunderts. Auf gewisse Weise löst die Stadt so die Natur in ihrer Funktion als Muse ab. Sie ist ein neues, urbanes Erhabenes, das durch diejenigen Künstler, Dichter, Architekten und anderen kulturellen Produzenten veranschaulicht wurde, die die soziale Energie der Stadt als Treibstoff für ihre Experimente und Innovationen nutzten.

Wie sonst sollte man etwa die frühen Collagen Picassos verstehen, der Zeitungsfragmente in die semiotische und materielle Textur seiner künstlerischen Sprache einbaute, um somit auf ein primäres, “alltägliches” Massenkommunikationssystem innerhalb des urbanen Raums zu verweisen? Oder denken wir an die Beschwörungen der neuen modernen Erfahrung, die sich in bestimmten Arbeiten der Futuristen äussern. Sie bewunderten nicht nur die Dynamiken der Industrialisierung, sondern waren vielmehr bestrebt, auf visueller Ebene die Gleichzeitigkeiten innerhalb des sozialen urbanen Raums zu invozieren, die die ersten Dekaden des letzten Jahrhunderts mit sich gebracht hatten. An dieser Stelle dürfen auch Legers Visionen der Beziehung zwischen Arbeit, Architektur und Industrialisierung nicht vergessen werden. Am bedeutendsten sind in dieser Hinsicht aber wohl die Aktivitäten der Dadaisten, die den urbanen Raum oft strategisch als Plattform nutzten, um ihre materiellen und symbolischen Revolten gegen die offensichtliche Homogenität des bourgeoisen Lebensstils und seiner Werte und die damit einhergehende Entfremdung der avantgardistischen Kunst vom größeren kulturellen Kontext zu inszenieren. Mit dem hier vorgenommenen Bezug auf diese Geschichte wird aber auch die Beschäftigung mit einem immer wiederkehrenden kulturellen Paradox unumgänglich. Mit Blick auf die Implikationen des Dadaismus sollte klar sein, dass jeder anarchische Versuch, künstlerische Konventionen zu zerstören oder zu subvertieren, vielleicht unbewusst auch der Versuch der Reintegration von Kunst in das Soziale & Politische war, und somit der Kunst wieder eine instrumentelle Funktion verlieh (auch wenn sie in der Verkleidung des Nicht- Instrumentellen daherkam). Die Negation der Kunst dient hier der Schaffung einer neuen Form kultureller Beziehungen.

In Die Moderne, ein unvollendetes Projekt, einem kontroversen, oft diskutierten Text aus den frühen 1980er Jahren, reflektierte Jürgen Habermas über einen anderen Aspekt dieses Paradoxes. Habermas behauptete, dass die surrealistische Revolte gegen die post-aufklärerische Rationalität und die Trennung von Kunst und Leben (also der Versuch, Kunstobjekt und Alltagsgegenstand, ästhetische Interpretation und Alltagsdenken auf konzeptionell/symbolischer Ebene wieder miteinander zu versöhnen) ironischerweise dazu diente, die Autonomie des Ästhetischen durch die Hintertür wieder einzuführen. Habermas argumentierte, dass noch die radikalsten Attacken gegen die bourgeoise Autonomie der Kunst (durch Künstler und Kunstspezialisten) lediglich für einen Moment die Inhalte einer autonomen kulturellen Sphäre aufsplitterten, nämlich die Sphäre der visuellen Kunst. Im Ergebnis wurde die Autonomie der Kunst aber tatsächlich gestärkt, weil Angriffe auf eine spezifische kulturelle Sphäre (Avantgardekunst) keinen transformativen, also entsublimierenden Effekt auf eine rationalisierte Gesellschaft haben konnte, in der es keine Kommunikation zwischen getrennten Bereichen der Spezialisierung gab. Wenn man dieser Überlegung Habermas’ zustimmt, könnte man untersuchen, wie die relativ autonome, spezialisierte Sphäre der Kunstwelt sich auch die radikalsten sozialen, politischen, konzeptionellen oder ästhetischen Gesten als Konventionen oder Genres einverleibt. In der Vergangenheit konnte man den beinahe unvermeidlichen Prozess beobachten, in dessen Verlauf verschiedene “radikale” künstlerische Sprachen, innovative Ausstellungskonzepte und gewagte kuratorische Strategien sich bald in ein Set bekannter Konventionen oder Genres verwandelten.

Dies wiederum ist vielleicht das logische Ergebnis der historischen und ideologischen Charakteristika des Avantgardismus, die das “Neue” unweigerlich institutionalisieren und verdinglichen. Wir haben uns an das ständige Oszillieren von Expansion und Kontraktion, Fortschritt und Rückschritt gewöhnt. Um einen amerikanischen Ausdruck zu gebrauchen: “Einen Schritt vorwärts, zwei zurück”. Jedesmal, wenn wir die Sprache und/oder den Kontext der Kunst bis zum “Point of no return” (also das Kollabieren der Unterscheidung zwischen Kunst und “Wirklichkeit”) auszudehnen versuchen, müssen wir uns der unausweichlichen Wahrheit beugen, dass die Kunst nicht dasselbe ist wie unsere Alltagswirklichkeit. Die Kunst konstituiert ihre eigene Realität. Und jedesmal, wenn wir versuchen, die relative Autonomie der Kunst im täglichen Leben verschwinden zu lassen, sehen wir uns mit einer fundamentalen Inkompatibilität auf der Ebene der Bedeutung konfrontiert. Dieser Umstand vergrößert letztendlich den Unterschied zwischen Kunst und allem anderen, selbst wenn wir von der Annahme ausgehen, dass die Kunst lediglich ein Teil von allem anderen ist, das nicht Kunst ist. Die letzten 50 Jahre (und vielleicht sogar noch länger) hat dieses philosophische Dilemma – das fundamentale Dilemma der Avantgarde – eine Frustration unter bestimmten Künstlern, Theoretikern und Kuratoren ausgelöst und zur Suche nach alternativen Territorien für die Schaffung von Kunst geführt. Fluxus reflektierte in seinen amerikanischen wie seinen europäischen Variationen eine künstlerische Haltung, deren Produktion sich aufgrund ihres ephemeren, ereignisorientierten Charakters der historischen Institutionalisierung entziehen sollte. Paradoxerweise existiert Fluxus daher heute nur noch in Form von Archiven, und ist somit umso mehr von den traditionellen Systemen des Museums und der Kunstgeschichte abhängig. Man kann Aspekte von Post-Fluxus in den Arbeiten einer jüngeren Generation erkennen, die in den Neunzigerjahren das Modell von Kunst als sozialer Aktivität und Ereignis noch einmal überdachte. Im Zuge dieser Wiederaufnahme von Ideen haben sich bestimmte Künstler mit Elementen des urbanen Raums beschäftigt, die in Beziehung zu den institutionellen Orten der Kunst als peripher erachtet werden. Das Problem, das sich aus diesem Vorgehen zumindest theoretisch ergibt, besteht darin, dass Kunstaktivitäten, die sich in einem traditionell nicht der Kunst zugehörigen Raum entfalten, diesen Kontext temporär zu einer Verlängerung des Kunstsystems umdefinieren. Dieser Effekt ist kompliziert, interessant und nicht zuletzt problematisch.

Die Frage der Erweiterung der künstlerischen Sprache und der Orte, an denen Kunst produziert wird, beschäftigte eine ganze Reihe von “Post-Atelier” Konzeptualisten, die in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren auftauchten. Darunter wären etwa Douglas Huebler, Dennis Oppenheim, Lawrence Weiner, Daniel Buren, Robert Smithson, Michael Heizer und Alice Aycock zu nennen, wie auch die urbanen Interventionen von Gordon Matta-Clark. Im Hinblick auf Smithson ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass seine Praxis immer das subtile Spiel zwischen Ort und Nicht-Ort, zwischen einem entfernten Platz in der Natur und dem Kontext der Kunstgalerie, berücksichtigte. Smithson deckte auf, dass es kein ‘Ausserhalb’ des Kunstsystems gibt – sondern vielmehr eine Serie von dialogischen Relationen, die zwischen unterschiedlichen Kontexten formuliert werden können. Einige Zeit später kehrten Künstler wie Michael Asher und Hans Haacke zum Museum als dem Ort kultureller Autorität zurück, um die institutionelle Macht kritisch zu infiltrieren und zu dekonstruieren. Solche Strategien verwandelten sich schliesslich in das Genre der “institutional critique”, die durch Künstler wie Louise Lawler, Mark Dion, Christian Phillip-Müller und Andrea Frazer artikuliert wurde. Ironischerweise (vielleicht aber auch gerade nicht) wurde die Kritik an den Institutionen selbst institutionalisiert – denn dies war eine unvermeidliche Entwicklung, da die Taktiken der kritischen Infiltration immer nach einem gewissen Grad an Komplizenschaft mit der Autorität des Museums verlangen. Nachdem von solchen Paradoxa und Double-Binds eine Art tautologischer Kollaps herbeigeführt worden war, blieb als Operationsfeld nur das “Aussen” des Systems.

Aber wo ist dieses vermutete “Aussen” tatsächlich zu lokalisieren? Innerhalb des differenzierten/nicht-differenzierten Stadtraums? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Schon immer gab es den Wunsch (oder die Fantasie), einen Raum kultureller Produktion zu lokalisieren, der nicht die Bürde des Kunstsystems zu tragen hat. Dies ist in sich ein paradoxer Wunsch. Im Zuge einer Globalisierung der Kunstwelt in Form von miteinander verbundenen städtischen Zentren drückt sich dieser Wunsch oft in einem Bezug auf den Raum der Stadt aus. Auf gewisse Weise ist dies der Versuch der Re-Kolonisierung des öffentlichen Stadtraums, der nun als Plattform für die spezialisierten Aktivitäten künstlerischer Produktion dienen soll. Auf diese Weise eröffnet sich den Künstlern die Möglichkeit des direkten Reagierens auf alle Aspekte der alltäglichen städtischen Umwelt. Die Stadt als kulturelles Labor? Die Stadt als zurechtgerücktes Readymade?

Verschiedene Genres von Public Art und Site Specific Art begannen sich in den frühen 1970er Jahren in den USA herauszubilden. Ihr Spektrum reichte von hochpolitisierten, basisdemokratischen Formen der Gegenöffentlichkeit bis zu weitaus zahmeren Versionen in Form von Auftragsarbeiten für Unternehmen. Dazwischen war ziemlich alles möglich. In Folge wurden private Stiftungen und Kulturorganisationen (sowie staatliche und kommunale Einrichtungen) eingerichtet, um eine Förderstruktur für Künstler zu schaffen, die Arbeiten ausserhalb des Ateliers, der Galerie oder des Museums produzieren wollten. In New York etwa gibt es kleine Organisationen wie Creative Time oder The Public Art Fund, die beide als Sponsoren und Auftraggeber für Künstler fungieren, die im öffentlich/urbanen Bereich arbeiten. Trotzdem werden nur sehr wenige individuelle künstlerische Projekte auch tatsächlich durchgeführt. Anders als in Europa gibt es in den USA keine lange Geschichte kommunaler Unterstützung für Ausstellungen, die sich mit dem urbanen Umfeld befassen. Daher gibt es nur sehr geringe Budgets, um solche Vorhaben zu unterstützen, und auch kein ausreichendes Engagement seitens der Kunstwelt. Selbstverständlich gibt es auch hier wenige Ausnahmen: etwa Mary Jane Jacobs bekanntes Projekt Culture in Action/Sculpture Chicago von 1993, sowie das kleinere (und unbekanntere) Architectures of Display 1995 in New York (das die Zusammenarbeit von Künstlern und Architekten in Projekten für Ladengeschäfte in Soho/Manhattan zeigte) oder inSITE97 (das sich um kontextspezifische Arbeiten von Künstlern in der Grenzregion zwischen San Diego und Tijuana drehte). Amerika verfügt aber dennoch über keine Tradition, die eine fortschrittliche, ortsspezifische Kunstproduktion mit dem öffentlichen Raum verbindet. Man könnte wohlwollend behaupten, dass die Nutzung des Stadtraums als Umfeld für die Produktion von Kunst auch der Versuch ist, die Verbindungen zwischen der Kunst und der breiteren kulturellen Sphäre auszubauen und neu zu überdenken. Dieser Versuch stellt eine symbolische (und zu einem gewissen Grad auch materielle) Reproduktion des Stadtraums für die Zwecke spezialisierter kultureller Aktivitäten dar. Aktivitäten also, die nicht in die Kategorien der Werbung, des Handels, des Geschäfts, der Popkultur, des Tourismus und verwandter Anwendungen fallen. Gleichzeitig ist klar, dass die Nutzung des Stadtraums als Rahmen für Gruppenausstellungen mit der Entwicklung neuer Möglichkeiten für die Verschaltung von ortsspezifischer Kunstproduktion und “Kulturtourismus” zusammenhängt. Prominente Beispiele für diese Entwicklung sind etwa die letzte Biennale in Istanbul (wo die Ausstellung auf verschiedene Knotenpunkte in der Stadt verteilt worden war) oder das andauernde Skulpturen.Projekte in Münster (das die Stadt immer als neutralen Hintergrund behandelt hat).

Grundsätzlich sollte eine Ausstellung im Stadtraum versuchen, die Beziehungen zwischen Produktion und Rezeption, Kunst und Publikum, Konsument und Produzent, neu zu definieren. Ausserdem reflektieren Ausstellungsprojekte, die sich in Abhängigkeiten von architektonischen Räumen und Infrastrukturen begeben, den Wunsch nach einer neuen kuratorischen Herangehensweise, die wiederum neue Möglichkeiten für die Kunstproduktion selbst eröffnen kann. Anders gesagt zwingt ein kuratorisches Modell, das auf dem städtischen Raum basiert, die eingeladenen Künstlern dazu, die Konventionen ihrer eigenen Arbeitsweisen vor dem Hintergrund des multiplen Materials der Stadt und ihrer imaginären Fluchtlinien neu zu überdenken.
Trotzdem bleiben einige weitere Fragen offen: Wird unter diesen Umständen tatsächlich irgendetwas neu erfunden oder umdefiniert? Oder bietet die im Stadtraum situierte Ausstellung dem Künstler nur eine bloße Erweiterung des institutionellen Raums; wird also das Museum als Ort lediglich in eine Vielzahl von unterschiedlichen urbanen Räumen aufgefächert ?
Wenn das städtische Umfeld als die größtmögliche, inklusivste Plattform für die künstlerische Produktion genutzt wird, ändert sich dadurch bereits das grundlegende Verhältnis zwischen Künstler, Kunstwerk und der Öffentlichkeit? Und wer wird auf diese Fragen antworten?
Wenn Ausstellungen im öffentlichen Raum geplant werden, sollte allen, die diese spezifischen städtischen Räume bewohnen, die Möglichkeit offenstehen, über eben diese Fragen öffentlich zu diskutieren. Also nicht nur den Kunstspezialisten, sondern Menschen aus allen Berufen, ökonomischen Hintergründen, kulturellen und ethnischen Bindungen, mit verschiedenen Vorlieben, Wünschen und ideologischen Präferenzen. Ein offener und öffentlicher, inklusiver Diskurs in Hinblick auf Funktion und Bedeutung der öffentlichen Ausstellung wird hoffentlich dazu dienen, neue Kommunikationswege über die symbolischen und faktischen Trennungslinien der einzelnen spezialisierten Disziplinen hinweg zu eröffnen.

Abseits des konkreten Territoriums der echten Stadt werden das Internet und das World Wide Web dazu genutzt, neue Typen virtueller urbaner und meta-urbaner Umwelten zu erforschen, die sich in interaktiven Modi der Kommunikation konstituieren. Die Beziehungen zwischen der Offline Welt der Stadt und der Online Welt des Netzes ist derzeit eines der wichtigsten Forschungsfelder. Letzteres fordert ein Nachdenken über die traditionellen Formen, in denen wir unsere Orte und Identitäten im Verhältnis zum Körper, zur Gemeinschaft, zur Stadt, zur Nation, zu Zeit und Raum und zur Erde organisieren. Wir leben in einer post-euklidischen Welt, in der ältere Kartentypen nicht mehr vollständig funktionieren. Eine Welt, in der Unterscheidungen zwischen der materiellen Offline Welt und der immateriellen Online Welt sowohl auf der Ebene der Theorie als auch derjenigen der gelebten Erfahrung nur noch mit Anstrengung aufrecht erhalten werden können. Sobald wir uns ins Netz begeben und im Web Dinge konstruieren, befinden wir uns sowohl in einer rationalen raumzeitlichen Dimension (nämlich vor unserem Computer), als auch in einer ephemeren Arena kontinuierlichen Fliessens, das sich klassischen Erklärungen entzieht. Wenn ich in einer Stadt lebe und im Netz eingeloggt bin, dann bin ich gleichzeitig verortet und ortlos, “drin” und draussen, irgendwo und nirgends. Selbstverständlich ist das paradox. Ich befinde mich dann in einem Zustand “zwischen” den Orten. Auf der kognitiven Ebene drifte ich durch alle städtischen Zentren, Vorstädte, ländliche Kleinstädte und verschiedene andere Zwischenzonen, durch transnationale und globale Territorien.

In diesem Sinne wird der tatsächliche Raum der Stadt ins virtuelle Terrain des Web verstreut und aufgelöst, und vice versa. Das Web kann als Konglomerat aus vielen theoretischen Städten gedacht werden, die mittels der neuen, sich überlappenden Dynamiken von Community und Kommunikation organisiert werden. Mit der Einführung drahtloser Netztechnologie wird schließlich das Natel zum tragbaren Internetgerät, das alle Möglichkeiten einer Online-Schnittstelle bietet. Alles ist mit allem verknüpft. Die Frage ist also nicht mehr, wo man sich physisch befindet, sondern eher, ob (und wie) man angeschlossen ist. Heutige Städte sind im Sinne der visionären Ideen der britischen Archigram Gruppe nicht nur ans Netz angeschlossen, vielmehr sind die urbanen Zentren selbst zu Konstellationen von mobilen drahtlosen Schnittstellen geworden. Konkrete Städte (und ihr suburbanes Umland) mögen immer noch Orte des Handels, der Kultur und der Information sein, das Web aber ist zu einem flüchtigen Knotenpunkt zwischen allen virtuellen Städten, Dörfern, Geschäften, Institutionen und Individuen geworden. Mit anderen Worten: Städte sind jetzt “ausgeloggt”, und stellen neue Möglichkeiten des Austauschs (auf symbolischer und wörtlicher Ebene) zwischen suburbanen und ländlichen Gegenden her. Daraus ergibt sich nicht nur die Frage, was sich im konkreten Raum einer Stadt abspielt, sondern auch das bedeutendere Problem, wie ein lokales Umfeld mit einer Vielzahl anderer lokaler Umfelder via Internet interagiert.

“(...) Der öffentliche städtische Raum ist nicht nur nicht-privat, also das, was übrigbleibt, wenn jeder seinen Privatbesitz umzäunt hat. Wie Kevin Lynch einmal erklärt hat, ist ein Raum nur insofern wirklich öffentlich, als er für die Mitglieder der Gemeinschaft, der er dient, auch wirklich offen zugänglich und einladend ist. Er muss also seinen Nutzern einen beträchtlichen Freiraum für Zusammenkunft und gemeinsames Handeln erlauben. Und es muss eine Form öffentlicher Kontrolle über seine Nutzung und seine Veränderbarkeit geben. Dasselbe gilt für den öffentlichen Cyberspace. Die Gründer und Administratoren von öffentlichen, semi-öffentlichen und pseudo-öffentlichen Räumen im Netz müssen sich also wie die Architekten und Verwalter von städtischen Plätzen, öffentlichen Parkanlagen, Eingangsbereichen von Bürogebäuden, Atrien in Einkaufszentren und Hauptstraßen in Disneyland die Frage stellen, wer hinein darf und wer ausgeschlossen wird, was dort getan oder nicht getan werden darf, wessen Regeln durchgesetzt werden und wer die Kontrolle ausübt.”2

Eben dies ist die Frage: Wie wird über reale und virtuelle Stadträume Kontrolle ausgeübt? Wer entscheidet über Einschluss und Ausschluss? Wir konstruieren uns heute in Beziehung sowohl zum bekannten handfesten Raum als auch zum Cyberspace. Jede Kunstausstellung, die heute im öffentlichen Raum stattfindet, muss daher diese Entwicklung in Betracht ziehen.

 

 


1 Kevin Lynch, The Image of the City, MIT Press, Cambridge, London, 1960.
2 William J. Mitchell, City of Bits, MIT Press, Cambridge, London, 1996





  • Ornament und Gebrechen, Gruber Ulrike, Expo 2000
    Ornament und Gebrechen
  • L’art de se camoufler chez soi, Auguste-Dormeuil Renaud, Expo 2000
    L’art de se camoufler chez soi
  • Business as Usual, Robert-Tissot Christian, Expo 2000
    Business as Usual
  • Trance, Tzaig Uri, Expo 2000
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  • Der aufblasbare Dinosaurier/Le dinosaure gonflable, Merrick Thom, Expo 2000
    Der aufblasbare Dinosaurier/Le dinosaure gonflable
  • Biel-Bienne Seaworld, Decker Simone, Expo 2000
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  • Jardinage, Bossut Etienne, Expo 2000
    Jardinage
  • For His Own Good, Lane Abigail, Expo 2000
    For His Own Good
  • Prairie I, Garfield Peter, Expo 2000
    Prairie I
  • Peloton, Buchanan Roderick, Expo 2000
    Peloton
  • Free for all Project, Kusolwong Surasi, Expo 2000
    Free for all Project
  • CNN, Pflumm Daniel, Expo 2000
    CNN
  • Multiprise suisse, Mercier Mathieu, Expo 2000
    Multiprise suisse
  • Espace pour le futur, Ramette Philippe, Expo 2000
    Espace pour le futur
  • Project for Cream Coffee Lids, Deller Jeremy, Expo 2000
    Project for Cream Coffee Lids
  • Biel Swimming Pool – Free admission for foreigners, Haaning Jens, Expo 2000
    Biel Swimming Pool – Free admission for foreigners
  • Crash, Motti Gianni, Expo 2000
    Crash
  • Beatballs and Flukes, Györfi Alexander, Expo 2000
    Beatballs and Flukes
  • Glass Swing, Banz Stefan, Expo 2000
    Glass Swing
  • Childish Behaviour # 3, L/B, Lang Sabina + Baumann Daniel, Expo 2000
    Childish Behaviour # 3
  • What a Wonderful World, Monk Jonathan, Expo 2000
    What a Wonderful World
  • Be Monogamous Naturally, Wyse Dana, Expo 2000
    Be Monogamous Naturally
  • Barrage, Signer Roman, Expo 2000
    Barrage
  • Angst Tree, Jakobsen Henrik Plenge, Expo 2000
    Angst Tree
  • Canard à l’orange, Relax (Chiarenza/Hauser/Croptier), Expo 2000
    Canard à l’orange
  • La magie au service de la vie quotidienne – Mode d’emploi, Fleury Jean-Damien, Expo 2000
    La magie au service de la vie quotidienne – Mode d’emploi
  • La Maison (le 26A), Blanckart Olivier, Expo 2000
    La Maison (le 26A)
  • One Minute Sculpture, Wurm Erwin, Expo 2000
    One Minute Sculpture
  • Palissades, Gygi Fabrice, Expo 2000
    Palissades
  • Transit, Spalinger Nika, Expo 2000
    Transit
  • Jet d’Oh!, Hattan Eric, Expo 2000
    Jet d’Oh!
  • Notes sur le mobilier urbain, Corillon Patrick, Expo 2000
    Notes sur le mobilier urbain
  • Untitled (A Paul Cézanne), Mosset Olivier, Expo 2000
    Untitled (A Paul Cézanne)
  • Hello I don’t speak your language, Land Peter, Expo 2000
    Hello I don’t speak your language
  • p-boy, Breuning Olaf, Expo 2000
    p-boy
  • Séparateur de bac à sable, Ruggiero Daniel, Expo 2000
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  • Burnout, Hersberger Lori, Expo 2000
    Burnout
  • Do it Yourself, Firman Daniel, Expo 2000
    Do it Yourself
  • Zu verkaufen/A vendre, Büchel Christoph, Expo 2000
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