Die 6. Schweizer Plastikausstellung Biel
M.Ziegler: Einführung
Einführung
Die geistigen Strömungen, die Ästhetik einer Gesellschaft lassen sich aus der dieser Gesellschaft zugeordneten Umwelt herauslesen. Wenn man aus der Zukunft zurückblicken könnte auf unsere Zeit — wie würden die Spuren aussehen, die wir in unserer Umwelt hinterlassen haben? Dürfte man von einem visuellen Zeitalter sprechen? Von einer Umwelt, die von optisch sensiblen Menschen gestaltet worden ist?
Schauen, Visuelles erfassen - das ich vom blossen Registrieren unterscheiden möchte -, scheint heute nicht hoch im Kurs zu stehen; das sind nicht die Qualitäten, die besonders kultiviert werden. Weder in den Schulen noch am Arbeitsplatz und in den allerseltensten Fällen im eigenen Heim messen unsere
Zeitgenossen solchen Kategorien eine grosse Bedeutung zu. Es sieht so aus, als ob wenig Bedürfnis nach künstlerisch formulierten Aussagen bestünde.
Die Künstler werden wohl geduldet: als Dekorateure zumeist, als Unterhalter (entertainer); ihren Werken haftet im Bewusstsein der Öffentlichkeit oft das Image des Luxusartikels an.
Aber ist denn nicht gerade der Künstler, dank seiner Bildung, seiner Erfahrung, seiner Sensibilität auch ein Fachmann für visuelle Belange? Wäre er das wirklich, würde man ihn als solchen akzeptieren, müsste man ihn unbedingt an der Gestaltung unserer Umwelt mitbeteiligen.
Nach fünf Jahren bietet sich in Biel wiederum Gelegenheit, eine grosse Übersichtsausstellung Schweizerischer Plastik zu zeigen. Von der Jury wurden ca. 160 Plastiken, Objekte und Projekte aus annähernd 800 angemeldeten Werken ausgewählt, die von rund 250 Künstlern eingesandt worden waren.
Das Hauptgewicht legten wir auf grosse bis monumentale Plastiken, die sich für die Ausstellung im Freien besonders gut eignen, Werke, die hauptsächlich für einen öffentlich zugänglichen Raum geschaffen wurden. Es schien uns sinnvoll zu sein, diese Plastiken in einer Umgebung mit städtischem Charakter, im täglichen Lebensbereich der Bieler zu zeigen.
Auch die Bieler Altstadt wurde in die Ausstellung miteinbezogen; nicht eigentlich als Ausstellungsraum, sondern eher als Ausstellungsobjekt; als künstlerisches «Objekt» kann diese Altstadt mit ihren gutproportionierten Plätzen, mit ihrer plastischen Raumgestaltung angeschaut werden.
Wir haben in Biel zwei Versuche unternommen, die zeigen sollen, wie wir uns die Beteiligung des Künstlers an der Gestaltung unserer Umwelt vorstellen. Künstler, Architekten und verschiedene weitere Fachleute schufen in Zusammenarbeit grossräumige Environments, «Klimas», wie wir diese Realisationen nennen. Die beiden Versuche wurden an zwei Bauprojekten unternommen, für die ein nach herkömmlicher Art zugesprochener Kredit für künstlerische Gestaltung bereits vorhanden war; die Projekte der Künstler mussten, wie das üblich ist, von verschiedenen Kommissionen genehmigt werden. Die neuartige Problemstellung (Integration des Künstlers in alle Phasen des Baus, der Anspruch, «Kunst im öffentlichen Raum» zu schaffen) und das den Künstlern von allen Beteiligten entgegengebrachte Vertrauen, haben zu neuartigen Lösungen geführt.
Die eine Realisation - sie betrifft die Seminare Biel - ist weitgehend beendet.
Dagegen werden die Aussenräume der Gewerbeschule zum Zeitpunkt der Eröffnung unserer Ausstellung erst im Projekt und Modell sichtbar sein. Zur Ergänzung dient eine Dokumentation über weitere Projekte und Realisationen in der Schweiz. Ein weiterer wichtiger Ausstellungsteil wird aus verschiedenen Manifestationen bestehen. Die meisten werden in Zusammenarbeit mit in Biel bereits existierenden Institutionen organisiert.
Sozusagen als «Vorspann» zur 6. Plastikausstellung möchten wir eine kleine Sonderschau präsentieren, die eine Gruppe von 15 Plastiken aus der ersten Schweizer Plastikausstellung im Freien (sie fand 1954 auf dem Gelände des Rittermattenschulhauses statt) umfasst. Diese Sonderausstellung soll ein «Hommage à Marcel Joray» sein, dem Initiator und Organisator der fünf vorausgegangenen Ausstellungen.
Maurice Ziegler