TRANSFERT Kunst im urbanen Raum
Information Transfer
Olivier Mosset
Nach Tabula Rasa im Jahr 1991 und einem Umweg übers Val de Travers kommt die Skulptur wieder nach Biel. Wie Marc-Olivier Wahler sagt: Nachdem Kunst in der Wüste und auf Fußballfeldern gezeigt wurde, ist das Ausstellen im städtischen Raum kein wirkliches Ereignis mehr. Und doch: Nach der erwähnten, von Fibicher kuratierten Ausstellung, die streng genommen keine war, nach der Suche nach dem verlorenen Monument, die Gauville im dazugehörigen Katalog unternommen hatte, und nach dem, was uns Marc-Olivier Wahler mitteilt (nämlich, daß die Stadt verschwunden ist, daß es keine Stadt mehr gibt, um Paul Tibbetts, Hiroshima 1945, zu paraphrasieren, oder daß man sie vielmehr nicht sieht, wie jene “unterschwelligen” Werke, von denen man spricht und die man meist nicht gesehen hat), nach diesem Ende des Jahrtausends (das selbstredend nirgends irgendetwas geändert hat) und zu einem Zeitpunkt, an dem viele denken, das neue Jahrtausend habe noch gar nicht begonnen, kommt diese Sache eigentlich ganz gelegen. Umso mehr, als einem (wenn ich recht verstanden habe) wie beim Jahrtausend auch bei dieser Ausstellung nie ganz klar ist, wann sie angefangen hat und wann sie enden soll.
Marc-Olivier Wahler weist uns darauf hin, daß Künstler heute nicht mehr speziell Kunst machen, und daß ihre Referenzen urbaner Art sind. Andere (z.B. Bourriaud) behaupten, sie seien mehr an Beziehungen oder Begegnungen interessiert als an Objekten. Schon seit geraumer Zeit fasziniert den Künstler das, was nicht Kunst ist. Ausgangspunkt war wohl das moderne Leben (Baudelaire), weiter ging es dann im Raum zwischen Kunst und Leben (Rauschenberg) und in den Monumenten in Passaic, New Jersey, (Smithson). Heute dagegen heißt es, die Kunst sei interaktiv und schaffe Vernetzungen. Die Kunst ist zu dem Verhältnis geworden, das sie zur Welt bzw. zum Ereignis einnimmt. Das Objekt ist aus ihrer Praxis verschwunden. Das Kunstwerk hat sich in der Ausstellung aufgelöst. Zu Ende gedacht bedeutet dies: Das Ende der Kunst ist gekennzeichnet durch ihren Erfolg.
Ich gehöre einer Generation an, die darum gekämpft hat, eine bestimmte Vorstellung von zeitgenössischer Kunst durchzusetzen. Sollte diese Denkweise heute überholt sein, so auch deshalb, weil sie akzeptiert ist. Nicht, daß ihr die Massen anhängen würden, aber sie gehört zur allgemeinen Kultur. Sie ist bekannt. Es ist so, wie Vanessa Beecroft1 sagt: die Avantgarde ist schon angekommen, man braucht sie nur noch zu benutzen. Wen die Avantgardekunst erschreckt, der kündet nur von ihrer Existenz. Wenn jemand in einer auf TF1 ausgestrahlten Serie den Kühlschrank aufmacht, der lediglich ein Joghurt enthält, und sagt: “das an zeitgenössische Kunst”, dann ist diese angekommen2 (wenn auch nicht da, wo man sie gerne hätte). Heute weiß man, daß die Absolventen einer Kunstakademie am Ende womöglich Schrotthaufen aufschütten, Striptease tanzen, Autorennen fahren, Filme drehen oder natürlich Ölmalerei betreiben. Ein Künstler kann sehr wohl ein Restaurant führen, kann (künstlerischer) Leiter einer staatlichen Ausstellung, Berater eines Architektenbüros oder Regisseur sein, oder aber er finanziert seine Arbeit mit einer PR-Agentur, falls er nicht selbst eine solche in Anspruch nimmt. Übrigens, der erfolgreiche junge Künstler genießt oft eine finanzielle Unterstützung, die ihm diesen Erfolg erst gewährleistet.
Ein Problem stellt sich auf der theoretischen Ebene. Insofern das Werk nicht mehr existiert und die Künstler sich im Leben tummeln wie ein Fisch im Wasser, so wird alles dies durch die Rede darüber wieder zur Kunst erhoben. Wenn der Ort der Kunst beinahe überall ist, so ist es ja der theoretische Diskurs oder der Katalog, der ihn anzeigt und ihm seine Grenzen weist. Die mit dem Kunstwerk verbundenen Probleme können erst in dem Augenblick durch eine Erzählung oder einen Diskurs außerhalb ihres Feldes neutralisiert werden, wo man dieses Feld verläßt und etwas anderes macht. Eine Künstlerin, die bei einer der letzten Ausstellungen, an der sie teilnahm, ihren Namen nicht genannt haben wollte (eine Ausstellung, in der sie zum Beispiel einen Blumenstrauß auf den Schreibtisch der Sekretärin legte), kümmert sich heute um Behinderte. Diese Tätigkeit ist vielleicht sehr viel ehrenwerter als die des Künstlers, doch im Grunde geht es um etwas anderes, das auch anderswo zur Sprache kommt. Für den Künstler, der sich als Boxer gibt oder einen Boxer darstellt, empfiehlt es sich nicht, gegen Mike Tyson anzutreten, denn das würde die Maßstäbe wieder zurechtrücken. Natürlich braucht man keine Kunst zu machen ; und wenn man schon welche macht, dann aber eine Kunst auf Gedeih auf Verderb!
Man spricht in letzter Zeit oft von einer Kunst, die nicht mehr autonom oder tautologisch sein soll. Es wurde gesagt, die Referenzen der Kunst seien heute urban. Doch auch hier geht es nicht so sehr um eine Kritik, als vielmehr um eine Addition. Die vertikale Lektüre der Geschichte, die den Pendelausschlägen der zeitgenössischen Kunst folgt, d.h. den Bewegungen von figurativ vs. abstrakt, expressionistisch vs. geometrisch, Malerei vs. Installation bzw. Video, täte gut daran, gelegentlich zu berücksichtigen, daß diese Ausschläge auch dazu tendieren, sich zu addieren. Minimal Art war Minimal und Pop, Konzeptkunst war Pop, Minimal und Konzept, usw. Heute ist die Summe vielgliedriger, so daß zu diesen Bewegungen MTV, Sport und Internet hinzukommen. Sind Werke spezifisch für den Ort, an dem sie plaziert sind, oder für den Ort, an den ihr Platz verlegt wird, so bleiben sie auf dem Feld der Kunst, da gibt es kein Entkommen. Die narrative Seite dieser Angelegenheit wird oft neutralisiert, denn glücklicherweise handelt es sich um eine Narration, die man nicht begreift, weil sie entweder allzu unverständlich oder aber gar zu evident ist. Hingegen kann ich verstehen, daß einem die Autonomie des Kunstwerks zum Hals raushängt. Und die besteht übrigens nicht darin, ein Objekt egal wo und egal wie zu zeigen – sondern besteht natürlich in der Autonomie seiner Form. Nichts für ungut und selbst, wenn’s den Künstlern schnurz ist: Kunst ist das, was sie ist, und der Rest ist der Rest. Ist es Kunst, so ist es Kunst, und ist es keine, ist es eben keine. Insofern die Autonomie der Form einmal erreicht ist, steht es einem eigentlich frei, mit ihr anzufangen, was man will.
Im Grunde sind heute alle Künstler Konzeptkünstler. Ich selber zum Beispiel glaubte, ich sei Maler, doch teilt man mir mit (Petit dictionnaire des artistes contemporains, Bordas, Paris, 1996), ich sei Konzeptkünstler. Wie einer meiner Freunde, der als Trotzkist aus dem kommunistischen Gewerkschaftsbund ausgeschlossen und deshalb Trotzkist wurde, so wurde ich Konzeptkünstler. Selbstverständlich ist diese neue Konzeptkunst nicht die historische Konzeptkunst, jene, die keine neuen Objekte in eine Welt setzen wollte, welche schon voll davon war, oder jene, die behauptete, das Werk könne auch von jemand anderem durchgeführt werden. Zunächst ist es dieser Konzeptkunst, wie Peter Plagens3 festhält, nicht wirklich gelungen, das Objekt auszuschalten: Es gibt deren jede Menge, wovon manche sich sogar in den Auktionssälen finden und dort durchaus beachtliche Preise erzielen. Erst jetzt bringen die zeitgenössischen Konzeptkünstler keine Objekte mehr hervor. Sie erfinden Dispositive oder hantieren mit Zeichen (Bourriaud). Wenn es etwas zu verkaufen gibt, dann nicht das Werk selbst, sondern seine Spuren, die oft nur auf eine anderswo produzierte Arbeit hinweisen.
Information transfer war ein konzeptuelles Kunstwerk von Eugenia Butler (1969), ein maschinengetipptes Statement (this is an information transfer), und ist Peter Plagens Lieblingskunstwerk. Mir schien dies ein geeigneter Titel für diese Worte.
Dann aber... nach der tabula rasa werden wir uns nicht oder nicht wieder zu Tisch begeben. Übrigens haben wir vielleicht diesen Tisch gar nicht wirklich verlassen, womöglich sitzen wir noch an ihm und betreiben – mit einem sehr regionalen Ausdruck – “Chaux-de-Fonds”, d.h. bleiben bei Tisch, obwohl dieser Tisch längst abgeräumt ist. Oder, wie Manet sagte, ist es vielleicht das Beste, im Freien frühstücken zu gehen.
P.S.: Natürlich hat mich die Spezialausgabe des Beaux Arts Magazine “Qu’est-ce que l’art aujourd’hui ? Quarante artistes internationaux de la nouvelle génération”, Dezember 1999) zu diesen wenigen Worten inspiriert. In dieser Sondernummer aufgefallen sind mir Werbungen für Champagner, Parfüms, Aperitive, einen Whisky, ein Auktionshaus, einige Internet-Sites, Hermes, Cartier (mehrseitig), Eurotunnel, Audi, Renault, eine Künstlerkreidenmarke und ein paar andere Produkte (Galerien ?), deren ich mich nicht mehr entsinne. Mir scheint, es muß einmal gesagt werden: art – the stuff of media.
1 Beaux Arts Magazine, Spezialausgabe, Dezember 1999, S. 26.
2 Eric Troncy, ebenda, S. 48.
3 Bookforum, Frühjahr 2000, S. 12.